
12.Oktober 2019
Wir sind in – innerlich und äusserlich – auf der arabischen Halbinsel angekommen. Hier besteht ein grosser Unterschied zwischen dem,
was innen
und
was aussen ist.
Die
Natur gibt es vor, und die Menschen leben es. Und denken es. Wobei wir
das ja nicht mit Sicherheit sagen. Sondern mit viel Interpretation.
Wir sind immer noch von der Hitze geplättet. Für die Menschen hier beginnt die kältere Jahreszeit. Die Temperaturen sinken, und man kann sich tagsüber draussen aufhalten. Aber für uns als Europäer heisst draussen aufhalten maximal vom Auto zum Schatten eines Baumes huschen und diesen nach einer halben Stunde mit roten Wangen wieder in Richtung Auto zu verlassen. Die Hitze ist an machen Tagen erbarmungslos zu uns. Es wird besser, aber wir halten uns lieber nach 15 Uhr irgendwo im Schatten auf. Besser: Im Schatten im Wasser. Vielleicht ist es für uns auch nur so extrem, weil wir zwei kleine Kinder im Schlepptau haben, für die unsere Sinne doppelt und dreifach geschärft sind. Wir bewegen uns manchmal mit Gepäck und quengelnden Kids auch sehr langsam über einen Parkplatz und dann spüren alle die Sonne umso stärker.

Und so mussten wir auch gedanklich ankommen. Abschied vom wandern. Wir haben es aufgegeben, irgendwo hinzulaufen. Wir verbringen viel Zeit drinnen. Die Klimaanlage läuft pausenlos. Wir haben ein Auto gemietet – das ist quasi unser Rückzugsort, von dem aus wir sicher auf steinige Berge und pralle Sonne starren können, auf unserer Reise durch die Arabischen Emirate und den Oman. Wir beobachten die anderen Menschen, und sie verhalten sich ganz ähnlich. Der Unterschied ist vielleicht, dass sie abends um halb elf noch shoppen gehen – aber das ist eine andere Geschichte.
Der Rhythmus ist also klar: Die Sonne gibt den Takt an. Und das führt dazu, dass die Menschen sich in Häusern verstecken. Diese Häuser sehen auch aus, als würden sie sich verstecken wollen – es sind wahre Bunker teilweise. Macht auch Sinn. Riesige offene Fensterfronten kann nun wirklich die beste Klimaanlage der Welt nicht kälter machen. Doch diese Art von Steinmauern reicht den Bewohnern nicht: Nein, sie wollen noch eine Grundstücksmauer. Macht auch wieder Sinn – drumherum liegt oft Schutt und Steine. Das will niemand in seinem Hof. Natürlich sind die Mauern auch so gemacht, dass man auf keinen Fall hereinschauen kann. Ist halt so. Der Raum, in dem sich Emiratis, Omanis und andere Menschen, die wir hier sehen, bewegen, ist also vor allem drinnen. Dieses kühle Drinnen wirkt extrem privat und zurückgezogen für uns als Aussenstehende. Denn von aussen sieht man eben nur die Fassade.

Ebenso
geht es uns mit dem Äusseren der Menschen. Sie tragen quasi Uniform –
Frauen in schwarz, Männer in weiss – und verstecken ihre Körper hinter
wogenden Stoffen. Daran gewöhnen wir uns langsam und versuchen, die
Gesichter hinter diesen – für uns noch Kostümen – wahrzunehmen. Doch es
ist manchmal noch schwierig, sich diese Robenträger mit Popcorn auf der
Couch vorzustellen oder in Hotpants auf dem Lauftrainer. Ihr Privatleben
und das Privatleben ihres Körpers bleibt vor uns, wenn wir ihnen in der
Mall, an der Tankstelle oder am Strand begegnen, verschlossen. Das
heisst nicht, dass sie uns nicht freundlich begegnen. Seit wir hier im
Oman angekommen sind, haben wir wieder mehr Berührungen und kurze
Interaktionen mit den Einheimischen. Alles wirkt etwas entspannter und
auch natürlicher als in den Emiraten. Heute sind wir durch einen Ort
gefahren, der voller Ziegen und Esel war und hatten das Gefühl, dass
hier Menschen leben, die trotz Öl die Bodenhaftung nicht verloren haben.
Was sie selbst darüber denken, wissen wir leider nicht.

Die
ganze Körperverhüllungsgeschichte betrifft uns ja nochmal mehr, weil
wir ja auch selbst Körper haben. Und die müssen wir in der Aussenwelt ja
irgendwie präsentieren. Für Didi ist das relativ unkompliziert, wenn er
nach links und rechts schaut. Shorts sind auch mal voll okay. Für mich
als Frau eher problematisch. Da zeigt sich mal wieder, in wie vielen
Ländern der Körper der Frau sexualisiert wird (und dann verhüllt werden
muss) und es macht mich innerlich so wütend, dass der Mensch sich keine
bessere Lösung überlegen konnte. Wir wollen keinen Anstoss erregen, aber
wir sind ja westliche Touristen und müssen auch nicht beste Freunde
mit allen werden. Wie viel von uns geben wir preis und wie weit passen
wir uns an?


Diese Gedanken bewegen uns – wie können wir authentisch sein? Wir wollen Menschen sein, die innen und aussen Spiegel aufgebaut haben. Offene Fenster. Überall echt. Das fällt uns schon innerhalb der Familie schwer: Ehrlich kommunizieren ohne zu verletzen, Gefühle zeigen in einem Mass, das nicht den Rahmen sprengt und dadurch von Gedanken ablenkt. Menschen gleichwertig begegnen. Manchmal haben wir das Gefühl, es gelingt uns ganz gut, und manchmal stehen wir vor einem Scheiterhaufen. Ein Ziel unserer Reise ist es, als Familie zusammen zu wachsen und wir würden wahrscheinlich alle sagen, dass wir momentan jede Menge Übungsmaterial sammeln.


Wie
innen und aussen zueinander stehen, sehen wir in der Natur. Egal wo wir
mit unserem Auto herumdüsen – durch die Berge, an den Strand, an den
wadis, den grünen Oasen, vorbei: alles wirkt unbelebt und kahl. Keine
Tiere, kaum Menschen. Doch wenn man ganz dicht schaut und sich auf das
Innere der Landschaft konzentriert – unter einer Dattelpalme, mit der
Hand durch den Sand, unter einem Stein – dann entdeckt man das pure
Leben. So viele Insekten, Kriechtiere und Vögel! Pflanzen, die an den
unmöglichsten Orten wachsen. Es ist faszinierend und schön.


Und wir hoffen auch, unseren Blick für die Menschen hier zu schärfen – und unter ihrer Fassade, die für uns noch so ungewohnt ist, das Leben in all seiner Vielfalt wahrzunehmen. Das echte Leben. Jenseits von kulturellen Normen und Konventionen. Weil wir nun einmal alle greifbare Menschen sind, die schwitzen und schweigen und lieben.

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