
Im Takt der Wellen und Moskitos
28.Januar 2020
Costa Rica! Es sieht aus wie eine Fototapete, und doch ist es Realität: Wir sind an einem tropischen Strand angekommen. Wir könnten uns wie Robinson Crusoe fühlen, wären da nicht die vielen anderen kleinen Hütten, in denen Einheimische und amerikanische Rentner hausen. Und doch sehen wir, wenn wir vor unserer Hütte sitzen, nur das Meer und die Palmen. Kaum sind wir hier angekommen, gleiten die Tage und Wochen dahin. Es gibt nur noch einen Rhythmus, und den gibt die Natur vor.

Ich war noch gar nie richtig in einem tropischen Setting. In der Fototapete quasi. Ich habe schon an vielen Orten auf dieser Welt gelebt oder sie besucht, aber alles, was tropischer war als Florida, habe ich ausgespart (die drei Wochen auf Indonesien, als unsere älteste Tochter laufen lernte, zähle ich nicht dazu, weil wir vor allem auf Bali waren und mir dort sogar die Urwaldbäume am Strassenrand künstlich vorkamen, wie für die Touristen aufgestellt). Und so fühle ich mich hier plötzlich in diese Kulisse hineinkatapultiert. Langsam taste ich mich heran an Dinge wie frische Kokosnüsse, riesige Ameisen und allgegenwärtige Feuchtigkeit. Ich versuche zu verstehen, wie die Natur hier tickt, um nicht anzuecken oder verschlungen zu werden. Und ich versuche zu verstehen, was die Leute weltweit so daran finden. Ich bin dazu auch noch kein Ozeanfreund – Tauchen und Fische und sowieso das tiefe Wasser machen mir eine Heidenangst. Gebt mir Berge, das macht mir Entdeckerlust! Meer ist nur schön zum Anschauen. Und dieses Anschauen übe ich intensiv. Was mir dabei hilft? Wellen. Wellen. Wellen.

Wellen sind meine neuen Freunde.
Sie
kommen aus dem Nichts, aber man kann darauf vertrauen, dass sie kommen.
Sie machen einen Buckel, und ecken dann an. Sie entwickeln sich
innerhalb von Sekunden von einer glatten Woge in eine sprudelnde Kraft.
Wenn sie aufbegehren und ihre wahre Schönheit zeigen, wenn die Gischt
spritzt, dann steht sie vor dir, diese eine Welle. Sie ist stark und
mitreissend. Danach trägt sie dich friedlich zum Strand. Mitreissen und
tragen. Aufbegehren und versöhnen. Hin und her. Hin und her.
Morgens um sieben werden wir wach. Es ist hell, es ist warm, und die Kinder haben Hunger. Unsere Hütte besteht zwar aus 3 Stockwerken, ist aber ein einziger Raum. Vor die offenen Elemente (also quasi Fenster ohne Scheiben) sind Fliegennetze gespannt. Deshalb gilt die Regel: Ist einer wach, kriegen es alle mit. Wir stehen auf, frühstücken, und die Kinder wollen direkt an den Strand. Das ist einfach zu bewältigen: Raus aus der Tür, 15 Meter unter Palmen laufen, und – zack – schon am Strand. Morgens hat sich das Wasser zurückgezogen und gibt eine grosse Sandfläche frei. Unsere Kinder buddeln leidenschaftlich, wir lassen uns von Wellen überrollen, im ewigen Rauschen. Hin und her. Am Vormittag ist die Sonne nicht so intensiv, wilde Pelikane gleiten elegant knapp über dem Wasser, und es ist menschenleer (nicht, dass zu einer anderen Tageszeit Menschen da wären). Didi behauptet immer wieder, Delphine zu sehen… aber natürlich nur dann, wenn ich nicht dabei bin.

Gegen
11 Uhr wird es am Strand heiss. Und dann haben wir meistens auch
Hunger. Wir gehen wieder zurück zur Hütte und ich koche dann etwas.
Kulinarisch scheinen die Einheimischen echt auf Stabilität zu stehen, es
gibt nämlich traditionell mindestens 3mal am Tag Reis mit Bohnen.
Mindestens. In allen Varianten. Nachdem wir entdeckt haben, dass das
labbrige Toastbrot im kleinen Supermarkt um die Ecke ungefähr dreimal so
viel kostet wie in der Schweiz, passen wir uns auch noch lieber an die
hiesige Kultur an. Wir essen also ein- oder zweimal am Tag Reis mit
Bohnen. Ansonsten stehen Kokosnuss – frisch mit der Machete geöffnet -,
Papaya, Avocado oder Kochbananen auf dem Speiseplan. Wir lieben es, dass
Gemüse und Früchte, die wir sonst ab und zu exotischerweise im
Supermarkt gekauft haben, hier so frisch und viel zu haben sind.
Übrigens kann man hier in Costa Rica das Hahnenwasser trinken – wie cool
ist das denn? Das erspart uns und der Umwelt jede Menge Schlepperei und
Plastikflaschen.

Nach
dem Essen ist erst einmal Ruhe angesagt. Und zwar nicht eine Stunde,
nein – ganze 2 Stunden. Denn bis 15 Uhr wollen wir sowieso im Schatten
bleiben – das diktiert uns unsere Haut. Zum Glück haben wir eine grosse
Terrasse, die ist quasi der grösste Raum der Hütte und komplett
überdacht. Auch die Palmen vor unserem Haus geben ein wunderschönes
Farbspiel ab und spenden erfrischenden Schatten. Unsere Jüngste, die
sich in den letzten Monaten so langsam schwer getan hatte mit
Mittagsschlaf, ratzt jetzt in der Hängematte und ist gar nicht mehr zu
wecken. Wunderbar, finden wir. Unsere ältere Tochter hört ihre Hörspiele
und bastelt in Ruhe – auch sie geniesst es, mal ungestört zu sein. Und
wir Erwachsene lesen, versinken im Halbschlaf in Fantasiewelten, im
Hintergrund das Spiel der Wellen.

Irgendwann schaffen wir es dann, uns wieder aufzuraffen, und rennen an den Strand. Bis jetzt hat sich das Meer den Sand immer zurück erobert. Die Flut steigt bis zu dem vielen Schwemmholz, was hier herumliegt. Was so unschön auf Fotos aussieht, ist in Wahrheit ein richtiger Schatz. So viele schöne Hölzer, verschlungen und geschliffen. Wir entdecken immer wieder wunderschöne Baumstämme.
Didi hat sich direkt
ausgetobt und eine kleine Hütte daraus gebaut, die ideal ist, um im
Schatten zu sitzen. Und so stehen wir umspielt von Wellen, toben herum,
machen einen Spaziergang und geniessen den Wind, das Wasser, und den
Sand. Die nächsten Tage wollen wir vielleicht ein Floss bauen. Mal
schauen. Hier am Strand ist das so eine Sache mit den Plänen.
Terminkalender scheinen unglaublich weit weg. Wir kamen auch mit einem
Haufen dreckiger Wäsche hier an und haben tagelang gebraucht, das
Waschen zu organisieren. Einfach aus dem Grund, dass keiner Lust hatte,
sich zu bewegen. Und wer den ganzen Tag in Badekleidern herumläuft,
verspürt auch nicht den Drang, dreckige Socken zu waschen.


Kurz
bevor es dunkel wird, müssen wir rein. Den Fehler, noch ein bisschen
herumzulaufen, haben wir am ersten Abend gemacht und dann nicht mehr.
Denn pünktlich zum Sonnenuntergang kommen die Moskitos. In Scharen.
Gegenüber, auf der anderen Seite der Strasse, liegt ein Sumpf mit
Mangrovenwald. War ja klar, dass dann alles voll ist mit den Viechern.
Zwar nicht direkt am Strand, doch 4 Meter davor auf jeden Fall. Der Ort
hier heisst „Playa Zancudo“ und Zancudo bedeutet anscheinend Mücken. Das
sagt schon alles. Auch jede Menge Insektenspray konnte sie nicht davon
abhalten, uns an unseren ersten Abenden zu zerfleischen. Und nachdem wir
jetzt tagelang mit roten Flecken und juckenden Waden herumgelaufen
sind, haben wir uns ergeben und gehen einfach um halb sechs ins Haus und
nicht mehr raus. Wir kochen unseren Reis mit Bohnen, die Kinder
bekommen Ketchup, und wir sitzen in unserer Küche. Kurze Zeit später ist
es stockdunkel. Echt verrückt, so früh wie im Dezember, aber eben ohne
Schnee.

In
so einer einfachen Hütte – es gibt ein paar Töpfe, Teller und Gabeln –
ist die Haushaltsgeschichte schnell erzählt. Das Geschirr abspülen, was
man gerade benutzt hat. Fertig. Doch am Abend müssen wir besonders gut
acht geben. Wir knöpfen die Müllbeutel zu und schauen in der Küche, das
wirklich kein Reiskorn mehr herumliegt. Alle offenen Lebensmittel (und
das heisst wirklich alle!), also Kekse, Reis, Früchte und Brot, sind im
Kühlschrank deponiert. Denn sobald wir unten in der Küche das Licht
löschen, ist dort das finstere Reich der Ameisen und Kakerlaken
angebrochen. Und mit denen wollen wir wirklich nicht unser Essen teilen.

Es
fühlt sich an, als wäre es schon sehr, sehr spät. Dabei ist es meistens
erst 7 Uhr, wenn unsere Kinder quengelig werden und wir sie ins Bett
bringen. Vielleicht ist es die frische Luft oder das Wasser, aber sie
schlafen direkt ein. Und auch wir Erwachsenen machen nicht zu lange (wer
uns kennt, weiss, dass das nicht normal ist) und schlafen zu einer
Uhrzeit ein, zu der normalerweise unsere Produktivität erst anfangen
würde. Vielleicht holen wir den Schlaf nach, den wir uns in all den
exzessiven Freundschafts- und Familienmomenten der letzten Monate nicht
gegönnt haben. Vielleicht aber lassen wir uns hier einfach von der Welle
treiben, die gerade unsere Tage hier verschwimmen lässt und das Licht
bringt. Der Rhythmus, dem wir uns hier anpassen und der irgendwie sehr
entspannt ist. So entspannt, dass wir uns keine weiteren Gedanken
machen. Eigentlich suchen wir einen Ort, an dem wir länger bleiben
können, mit Kindergarten und Sprachunterricht, aber irgendwie halten uns
die Wellen gefangen. Und wir lassen es zu. Mitreissen und tragen.
Aufbegehren und versöhnen. Hin und her.

Hin und her.
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